Ich habe immer schon an einem Praktikum im Ausland Interesse gehabt, wusste aber nicht, dass dies auch als Absolventin des Verwaltungslehrgangs II möglich ist. Als ich nach Abschluss des Lehrgangs von der EUROPA Förderung darauf aufmerksam gemacht wurde, freute ich mich sehr. So entschied ich mich für ein Praktikum in meiner Heimat Kroatien, um neue berufliche Erfahrungen zu machen und meine kroatischen und englischen Sprachkenntnisse zu verbessern.
Nach einer raschen Zusage der Stadt Zagreb wurde mir ein Praktikumsplatz für zwei Wochen im „Büro für innerstädtische und internationale Zusammenarbeit und Förderung der Menschenrechte“ angeboten.
Da ich mich bereits in der Hauptstadt Zagreb gut auskenne, war es für mich kein Problem, zügig vom Flughafen in mein gemütliches, zentral gelegenes Apartment zu gelangen.
Kroatien ist seit 1991 mit seinen knapp 3,8 Millionen Einwohner*innen ein unabhängiges Land. Allein in der Hauptstadt Zagreb leben zurzeit 800.000 Menschen.
Die Stadtverwaltung von Zagreb beschäftigt aktuell 3085 Mitarbeiter*innen.
Zu den zentralen Herausforderungen der Stadt zählen:
- Erneuerungen der Infrastruktur
- Aufbau eines modernen und ökologischen Abfallwirtschaftssystems,
- Weiterentwicklung der „grünen Agenda“
- Einführung moderner Arbeitsformen in der Kommune inklusive zeitgemäßer IT-Technologie
Darüber hinaus ist die Stadtverwaltung immer noch damit beschäftigt, die gravierenden Schäden am Rathaus zu beheben, die durch das Erdbeben von 2020 mit einer Stärke von 5,7 entstanden sind. Viele kleinere Ämter sind seitdem provisorisch in angemieteten Büroräumen untergebracht, davon betroffen ist auch das „Büro für innerstädtische und internationale Zusammenarbeit und Förderung der Menschenrechte“.
Die Auswirkungen des Bebens sind heute noch im gesamten Stadtgebiet zu sehen: Es gibt viele kleine Baustellen. Durch die Corona Pandemie verzögert sich die Fertigstellung der Bauarbeiten immens.
Mein Praktikum beginnt.
Am Montag, pünktlich um 8.00 Uhr, empfing mich der Abteilungsleiter des „Büros für innerstädtische und internationale Zusammenarbeit und Förderung der Menschenrechte“, Andrija Petrovic in seinem Büro. Ich wurde herzlich aufgenommen und den Kolleg*innen vorgestellt. Trotz der ganzen Umstände wurde mir ein gut ausgestatteter Arbeitsplatz mit einem PC und nötigem Büromaterial im Büro der Projektabteilung zur Verfügung gestellt. Ich bekam eine eigene städtische Mailadresse und los ging es.
Von Beginn an war klar, ich würde einen ganz neuen Arbeitsbereich kennen lernen, denn die Mitarbeitenden des Büros planen verschiedenste, auch transnationale Projekte zu den Themen „Menschenrechte“, „Migrationspolitik“, „soziale Integration“ und „Kultur“ und führen diese auch verantwortlich durch.
Für mich als Mitarbeiterin der Zwangsvollstreckung - Neuland!
Das wussten die Zagreber Kolleg*innen und darum bekam ich die praktikumsbegleitende Aufgabe, mich mit dem Thema „Projektmanagement“ auseinander zu setzen und insbesondere mit Instrumenten der Projektenwicklung:
- SWOT-Analyse
- Problemanalyse
- Zielbaum
- Logische Matrix
Ich durfte mir ein Thema aussuchen und sollte dieses mithilfe der Instrumente zum Projektmanagement aufarbeiten. Ich entschied mich, die Herausforderungen der Stadtverwaltung Zagreb und der Stadt Wuppertal vergleichend herauszuarbeiten.
Nach und nach setze ich die Instrumente ein und verschaffte mir so zunächst einen Überblick über die Eckpunkte meines Themas, erfasste die Problemstellung, begann damit, (Projekt-)Ziele zu formulieren und eine Zeitleiste zu planen. Dadurch konnte ich mir denkbare Projektentwicklungsprozesse vorstellen und die Arbeit der Kolleg*innen viel besser einordnen.
Nationale und internationale Projekte des „Büros für innerstädtische und internationale Zusammenarbeit und Förderung der Menschenrechte“
Andrija Petrovic nahm sich viel Zeit, um mir bedeutende und auch aktuelle Projekte des Büros vorzustellen. Er zeigte mir entsprechende Projektanträge, erklärte den Aufbau eines Projektantrages und nahm Bezug auf die Inhalte und Ziele der jeweiligen Projekte.
Meine Hauptaufgabe während des Praktikums war es, mit meinen Kolleg*innen an diesen Projekten zu arbeiten.
Einige möchte ich kurz vorstellen:
EU-Projekt „SOCIALLY INVOLVED AND EMPLOYED“ (SUZI)
Am 21.10.2019 wurde die Partnerschaftsvereinbarung mit vielen Projektpartnern (z.B. Regionalbüro Zagreb, Kroatisches Rotes Kreuz – Städtische Gesellschaft des Roten Kreuzes Zagreb, Behindertenverband Kroatiens, …) zur Umsetzung des Projektes „SOCIALLY INVOLVED AND EMPLOYED“ unterzeichnet.
Das Projekt wurde mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds in der Finanzperiode 2014-2020
finanziert. Es ist für die Stadt Zagreb von hoher Bedeutung, weil es eins der größten sozialen Projekte der Republik Kroatiens war. Das Projekt zielte darauf ab, die berufliche Ausbildung und Beschäftigung von schwer zu beschäftigenden Frauen zu fördern, insbesondere von Frauen, die zu marginalisierten Gruppen gehören (z.B. Roma Frauen, Opfer häuslicher Gewalt, obdachlose Frauen oder Kriegsveteran*innen).
Mehr als 50 langzeitarbeitslose Frauen haben durch dieses Projekt eine zweijährige Beschäftigung als Haushaltshilfe für insgesamt 250 bedürftige und ältere Menschen erhalten. Dadurch wurden Familienangehörige entlastet und eine Unterbringung in Einrichtungen oder Pflegefamilien vermieden.
EU-Projekt „Integrating Cities“ (Unites)
Der Integrating Cities-Prozess wurde 2006 in Rotterdam gestartet und ist eine Partnerschaft zwischen EUROCITIES und der Europäischen Kommission zur Förderung der Umsetzung der gemeinsamen Grundprinzipien für Integration auf lokaler Ebene. Es basiert auf einer Konferenzreihe und einem Arbeitsprogramm, das von EUROCITIES in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission geleitet wird. Die Stadt Zagreb beteiligt sich in diesem Rahmen an dem Projekt „Integrating Cities“ (Unites) (2022-2024).
Ich durfte während meiner Praktikumszeit an den digitalen Workshops der Projektpartner teilnehmen. Viele andere Vertreter europäischer Städte waren dabei, z.B. aus Düsseldorf, Bologna, Grenoble, Athen oder Zaragoza.
An mehreren Tagen in Folge ging es um die Erarbeitung von Strategien und Vorschlägen zur verbesserten Migrationspolitik. Damit war aber der Arbeitstag noch nicht beendet; denn alle Partner hatten anschließend ein paar „Aufgaben“ zu erledigen: einzelne Fragen oder Themen zur Konferenz aufarbeiten, Lösungsansätze skizzieren usw. So auch die Kolleg*innen in Zagreb, die mich natürlich an der Erledigung dieser Arbeiten beteiligten.
EU-Projekt –„Stärkung der sozialen Integration von sozialschwachen Gruppen“ (SIGM)
Das Projekt zielt darauf ab, die soziale Integration mehrerer gefährdeter bzw. benachteiligter Gruppen (Roma, Migranten und Exilanten aus der Ukraine) zu fördern, insbesondere durch kulturell-künstlerische Ansätze. Kulturinstitutionen und Kulturexperten suchen dabei nach innovativen Methoden, um die künstlerische Kreativität, vor allem von Kindern und Jugendlichen dieser Zielgruppe zu fördern.
Dazu nutzt das Projekt virtuelle Ansätze der Kultur- und Kreativwirtschaft: ein multimediales Empowerment- und Aufklärungsmodell für den Einsatz von IT-Tools.
Im Rahmen des Projekts spielt auch der Einsatz eines „Virtual Art Career Clubs“ und eine „E-Art-Börse“ für junge Künstler*innen eine Rolle.
Austausch mit dem Kulturbüro Wuppertal
Andrija Petrovic ist nicht nur für die internationale Arbeit zuständig, sondern auch für Projekte und Angebote im Bereich „Kultur“ in der Stadt Zagreb.
So nahm er die Gelegenheit wahr, einen Austausch mit dem Kulturbüro Wuppertal anzufragen. Julia Wessel, stellvertretende Leiterin des Kulturbüros, kam der Bitte gerne nach. Beide stellten ihre jeweiligen Arbeitsschwerpunkte vor und berichteten kurz über die Auswirkungen der Corona Pandemie auf die städtische Kulturszene. Wer weiß! Vielleicht entsteht irgendwann eine Projektkooperation zwischen Zagreb und Wuppertal.
Die Vollstreckungs- und Finanzabteilung der Stadt Zagreb
Da ich in der Abteilung „Sondervollstreckung“ mit dem Aufgabengebiet „Zwangsversteigerung“ arbeite, interessierte mich natürlich auch, wie in der Vollstreckungsabteilung in Zagreb gearbeitet wird. Deshalb durfte zwei Tage den Kolleg*innen über die Schulter schauen.
Mir ist aufgefallen, dass es viele Gemeinsamkeiten bezüglich der Vollstreckungsfälle und Verfahrensabläufe gibt. Dazu gehört z.B. der Verfahrensablauf von der Forderungsaufstellung bis hin zur Vollstreckung. Besonders spannend war der Tag, an dem ich an einer nichtöffentlichen Gerichtsverhandlung zu einem Vollstreckungsfall der Stadt Zagreb teilnehmen durfte.
Durch die Zerstörungen des Erdbebens konnte die Verhandlung noch nicht in den üblichen Räumen des Rathauses durchgeführt werden. So finden kleinere Verhandlungen immer noch in größeren Büroräumen statt.
Und schließlich erhielt ich einen kurzen Einblick in den Finanzbereich der Stadt Zagreb. Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Arbeitsbereichen berichteten mir über ihre Arbeit.
Der Finanzbereich der Stadt Zagreb ist, wie bei uns, in verschiedene Abteilungen aufgeteilt. Es gibt nur einige kleinere organisatorische Besonderheiten. Zum Beispiel ist das Rechtsamt der Stadt Zagreb dem Finanzbereich zugeordnet.
Die Corona Pandemie hat auch in Zagreb die Entwicklung digitalisierter Arbeitsverfahren vorangetrieben.
- Ähnlich wie bei uns hat die Stadtverwaltung Zagreb ein Online- Serviceportal eingerichtet. Bürger*innen können Anträge online stellen oder Termine buchen.
- Ein digitales Siegel „befugter“ Mitarbeiter*innen ersetzt die digitale Unterschrift - ein amtliches Dokument, welches auch erkennen lässt, welcher Mitarbeitende den Fall bearbeitet.
- Zeiterfassung erfolgt per Fingerabdruck-Scan. Jede/r Mitarbeiter*in ist bei Dienstbeginn, Pause und Dienstschluss verpflichtet, den Fingerabdruck einzuscannen. Die gebuchten Zeiten werden wie bei uns im Zeiterfassungsprogramm erfasst und ausgewertet.
Allerdings werden zahlreiche Arbeitsprozesse noch nicht papierlos erledigt.
Lange arbeiteten Kolleg*innen während der Corona Pandemie im Homeoffice. Für die technische Ausstattung mussten die Mitarbeitenden selber sorgen. Da die Entwicklung wichtiger Digitalisierungsprozesse noch nicht abgeschlossen ist, wird nun wieder überwiegend im Büro gearbeitet.
Ausbildung und Personalmangel in der Stadtverwaltung Zagreb? Gibt es nicht.
Die Stadtverwaltung bildet selbst nicht aus. Bewerber*innen müssen ein adäquates Studium entsprechend der zu besetzenden Stelle nachweisen. Beispielsweise habe ich im Finanzbereich der Stadt Zagreb viele Mitarbeiter*innen mit einem Bachelor- oder Masterabschluss in Jura kennen gelernt.
Arbeitsplätze bei einer Stadtverwaltung sind sehr begehrt. Sie sind sicher und attraktiv, denn städtische Mitarbeitende werden besser bezahlt als Mitarbeitende der Privatwirtschaft.
Das Lohnniveau ist in Kroatien sehr viel niedriger als in Deutschland. Dennoch sind im Vergleich die Lebenshaltungskosten - auch durch die steigende Inflation - nur unwesentlich geringer. Viele Menschen im Land sind somit glücklich, überhaupt eine Arbeit zu haben.
Und was kann man unternehmen, wenn Feierabend ist?
Während meines Praktikums, wurde mir unbedingt empfohlen, dass Nationaltheater der Stadt Zagreb zu besuchen. Ich entschied mich für die Oper Madame Butterfly von Giacomo Puccini. Das Nationaltheater ist in einem prunkvollen Gebäude im Barockstil untergebracht. Gebaut wurde es Ende des 19. Jahrhunderts von Wiener Architekten, die fast baugleich auch andere Opern in Europa entwarfen, darunter das Opernhaus in Zürich oder das deutsche Staatstheater in Wiesbaden. Besonders hat mich das üppig dekorierte Innenleben des Theaters beeindruckt.
In der zweiten Praktikumswoche eröffnete der Weihnachtsmarkt in Zagreb.
Was nicht so bekannt ist: Er zählt zu den attraktivsten in ganz Europa und wurde im Jahr 2017 und 2018 zu den „schönsten Weihnachtsmärkten Europas“ gekürt. Gastronomen aus ganz Kroatien bieten dort eine Vielfalt von Köstlichkeiten an. Der Weihnachtsmarkt ist ein echtes vorweihnachtliches Food Festival, denn geboten werden auch Konzerte und Aufführungen.
Ein besonderes Highlight war für mich die große Eislaufbahn mit ihrer fantastischen Beleuchtung.
Zagreb ist generell am besten fußläufig zu erkunden. Es gibt im gesamten Stadtgebiet zahlreiche Sehenswürdigkeiten.
Und wer einmal hier ist, sollte sich die Aussicht von der oberen Altstadt auf die Kathedrale nicht entgehen lassen.
Was ich mitnehme ….
„Über den Tellerrand schauen“ - das Motto traf für mich besonders zu.
Ich lernte während meines Praktikums einen ganz anderen Arbeitsbereich kennen und durfte mich mit dem Thema „Projektarbeit“ vertraut machen. Spannend war natürlich, dass ich an der gemeinsamen Arbeit der europäischen Projektpartner aktiv teilnehmen konnte und miterleben durfte, wie sich Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlich ausgeprägten Sprachkenntnissen über ein Thema verständigen und Ergebnisse erarbeiten.
Kroatisch ist meine Muttersprache. Diese habe ich während des Praktikums im beruflichen Kontext verwenden können und dadurch entsprechend vertieft. Aber auch meine Englischkenntnisse waren in den transnationalen Workshops gefragt.
Besonders eindrucksvoll war die herzliche und gastfreundliche Art der Zagreber Kolleg*innen. Es ist mir nicht leichtgefallen, wieder nach Hause zu fahren.