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Wuppertal goes Europe

Auszubildende und Ausbilder*innen berichten aus dem Praktikum

Nina Kotissek ist Referentin und Ausbilderin im Team Bürgerbeteiligung und absolvierte ihr Praktikum vom 11.-29. Oktober 2021 in Wien.

Sie arbeitete in einem interdisziplinären Team in der Stadtbaudirektion und kam neben dem Querschnittsthema Bürger*innenbeteiligung auch in Berührung mit vielfältigen Stadtplanungsprozessen:

  • Smart City Rahmenstrategie
  • Stadtentwicklungskonzept 2035
  • Masterplans Partizipative Stadtentwicklung

Das Partizipative Klimabudget ist das Thema, mit dem Frau Kotissek sich während ihrer Praktikumszeit am meisten beschäftigt hat.

"Die Stadt gehört allen" steht auf dem Poster im Büro einer Kollegin. Der Ruf, Partizipationsstadt zu sein, eilt Wien voraus. Um zu prüfen, ob die Stadt ihrem Ruf gerecht wird, absolvierte ich mein Erasmus-Praktikum im Rahmen von "Wuppertal goes Europe" vom 11. bis 29. Oktober 2021 im Magistrat der Stadt Wien.

Rathaus der Stadt Wien

Meinen ersten Arbeitstag verbrachte ich in den großen hellen Büroräumen im schönen repräsentativen Rathaus am Friedrich-Schmidt-Platz 1. An meinem zweiten Arbeitstag zog mein Team in ein Nachbargebäude um.


Eingesetzt im Kompetenzzentrum für übergeordnete Stadtplanung

In Wuppertal arbeite ich im Team Bürgerbeteiligung im Büro des Oberbürgermeisters. In Wien ist die strategische Bürger*innenbeteiligung im Kompetenzzentrum für übergeordnete Stadtplanung, Smart City Strategie, Partizipation und Gender Planning im Geschäftsbereich Bauten und Technik in der sogenannten Magistratsdirektion angesiedelt.

Für die Magistratsdirektion kenne ich kein Äquivalent in einer deutschen Verwaltung. Im Organigramm sieht sie aus wie ein Dezernat von vielen, jedoch ist ihre Spitze anders als alle Geschäftsbereiche nicht politisch von den regierenden Parteien besetzt. Die Magistratsdirektion ist gegenüber den Geschäftsgruppen nicht weisungsgebunden, nimmt jedoch eine Querschnitts- und Steuerungsfunktion wahr und wirkt in die Geschäftsbereiche hinein. Im Fall des Kompetenzzentrums im städtebaulichen Bereich. Somit ist die Magistratsdirektion am besten vergleichbar mit einer riesigen Stabsstelle, die politisch unabhängig bzw. nur dem Bürgermeister unterstellt ist.

Das Kompetenzzentrum arbeitet an unterschiedlichen Themenfeldern und ist interdisziplinär aufgestellt. Ein Kollege bearbeitet die Smart City, die hier weniger als digitale Stadt, sondern vielmehr im Wortsinn als clevere Stadt in allen Belangen (bspw. Nachhaltigkeit) verstanden wird; eine Kollegin betreibt Gender Planning und trägt die Blickwinkel und Bedürfnisse aller Geschlechter in die Stadtplanung hinein; ein Kollege kümmert sich um das UNESCO-Weltkulturerbe. Sie haben wenig Schnittmengen in ihren Zuständigkeitsbereichen und erscheinen mir wie einzelne Satelliten, die mit unterschiedlichen Aufträgen das Magistrat umkreisen, viele Netzwerke in die Verwaltung knüpfen, aber die Laufbahnen der anderen nur unregelmäßig durchkreuzen.

Meine klare Erkenntnis ist:

So interessant ein Zuständigkeitsbereich auch sein mag, ich möchte ihn nicht alleine bearbeiten und verantworten. Ich möchte im Team arbeiten und mich täglich mit meinen Kolleginnen über die beste Art und Weise, Bürger*innenbeteiligungsprozesse durchzuführen und Probleme zu lösen, austauschen.


Das Beteiligungsgesicht der Stadt Wien

Eine der Satelliten im Kompetenzzentrum, eine von 65.000 Beschäftigten der Stadt Wien, ist zuständig für die strategische Steuerung der Partizipation. Sie bezeichnet sich selbst als "Beteiligungsgesicht der Stadt" und ist für meine Praktikumszeit meine Kollegin und Ansprechpartnerin. Sie koordiniert die Bürger*innenbeteiligung in Wien, arbeitet eng mit Kolleg*innen in den Geschäftsbereichen zusammen, die Bürger*innenbeteiligung vor Ort umsetzen, etabliert Standards und führt Pilotprojekte durch. Dabei arbeitet sie deutlich weniger operativ als wir.

Doch so wichtig die strategische Qualitätssicherung von Bürger*innenbeteiligung in der gesamten Verwaltung ist, so wichtig und erdend sind auch die operativen, niedrigschwelligen Prozesse, in denen wir direkt mit den Menschen zusammenarbeiten und die am meisten Spaß machen - die möchte ich in Wuppertal nicht missen.

Vergleiche des Verständnisses und der Umsetzung

Das Verständnis von Bürger*innenbeteiligung ähnelt sich in Wuppertal und Wien.

Das ist beim Vergleich der Wuppertaler Leitlinien und der Wiener Ziele für Partizipation in der Smart City Rahmenstrategie erkennbar. Darin heißt es z.B.

"Die Stadt Wien entwickelt ihre Standards der Partizipation laufend gemeinsam mit den Bewohner*innen weiter und Beteiligung nimmt insgesamt zu",

"Alle sozialen Gruppen haben die Möglichkeit, sich an der Mitgestaltung der Smart City Wien aktiv zu beteiligen"

oder "Die Beteiligungsangebote der Smart City Wien sind für alle sichtbar und zugänglich."

Darin erkenne ich mich als Wuppertaler Beteiligerin sehr gut wieder.

Die Umsetzung von Bürger*innenbeteiligung unterscheidet sich jedoch. Meine Kollegin sagt: Partizipation lässt sich nicht verorten. Beteiligung kann sowohl "top down" geschehen, in einem "von oben" angesetzten Prozess der Verwaltung, als auch "bottom up", "von unten" von den Bürger*innen ausgehend. Das verstehen wir in Wuppertal per definitionem anders: Bürger*innenbeteiligung bedeutet für uns die Beteiligung von Bürger*innen an politischen Prozessen und im Rahmen politischer Prozesse.

Vorteile: Wir können anschließend umsetzen, was die Bürger*innen wollen und wecken keine unerfüllbaren Erwartungen.

Mögliche Nachteile: Wir können unter Umständen an den Bedürfnissen der Bürger*innen vorbeiplanen. Allerdings stellen Bottom-up-Prozesse auch nicht zwingend die Meinung der Mehrheit dar, sondern manchmal auch die einer lauten Minderheit. (Und außerdem: Um die Unterstützung von Ehrenamtlichen kümmern sich bei uns unsere Kolleginnen der Bürgerengagementförderung).

Das Wiener Modell ist charmant, benötigt jedoch zweierlei: eine für Initiativen aus der Bürgerschaft offene Verwaltung oder Politik und viel Kohle. Am Geld scheitert es in Wien nicht; eine innovative und flexible Verwaltung und Politik, die Anregungen aus der Bürgerschaft schnell und unkompliziert aufnehmen und umsetzen kann, ist hier jedoch auch noch in Arbeit.

Trotzdem, mit Geld lässt sich viel machen: In Wien gibt es mehrere Budgetprojekte, für die die Stadt einen großen Topf Geld bereitstellt. So können Ideen aus der Bürgerschaft gemeinsam mit Politik und Verwaltung weiterentwickelt und relativ unkompliziert umgesetzt werden. Während es in Wuppertal alle zwei Jahre das Bürgerbudget gibt, 2021 mit einer Summe von 200.000€, stehen in Wien jedes Jahr für mehrere Stadtbezirke jeweils 100.000€ für eine nachhaltige Stadtentwicklung zur Verfügung; mehrere 10.000€ für Grätzloasen (das Grätzl ist das österreichische Viertel), auf die die Wiener*innen sich mit Ideen für mobile Parklets auf Parkstreifen bewerben können, um den Stadtraum neu und grün zu nutzen; eine Million Euro, die Jugendmillion, für Ideen von Kindern und Jugendlichen;

und am beeindruckendsten:

Das Partizipative Klimabudget

Im Jahr 2022 wird die Stadt Wien sechs Millionen Euro für das Partizipative Klimabudget ausgeben, ein Pilotprojekt in drei Wiener Stadtbezirken, mit dem Ideen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung umgesetzt werden. Das Budget soll nach einem erfolgreichen Pilotprojekt sogar noch steigen: Summen von jährlich 20 oder gar 40 Millionen Euro stehen im Raum.

Das Partizipative Klimabudget ist auch das Thema, mit dem ich mich in meiner Praktikumszeit am meisten beschäftigt habe. Noch eine Wiener Eigenart, die mit ihrem dicken Portemonnaie einhergeht: Sie schreiben fast alles aus, schalten für fast alles eine Beteiligungsagentur ein, von großen Projekten bis hin zu einzelnen Veranstaltungen. Das ist manchmal hilfreich, um Expertise einzuholen und personelle Ressourcen für andere Aufgaben einzusetzen, doch es ist auch wichtig, dass die Verwaltungsmitarbeiter*innen selbst wissen, wie es geht und worauf zu achten ist - damit sie die Agenturen dementsprechend beauftragen und kontrollieren können.

Workshop Partizipatives Klimabudget

Jedenfalls war es meine Aufgabe, an der Ausschreibung und dem Leistungsverzeichnis für die repräsentativ und zufällig ausgewählte Bürger*innenjury mitzuarbeiten, die am Ende des Prozesses die Gewinnerideen auswählt sowie die Angebote verschiedener Büros für den ausgeschriebenen Gesamtprozess des Klimabudgets zu beurteilen. Das sind Aufgaben, die ich so in der Wuppertal Beteiligungsarbeit nicht übernehme (weil wir unsere Prozesse in der Regel selbst durchführen) und deshalb waren sie sehr lehrreich. Außerdem habe ich einen Workshop für Multiplikator*innen mitgestaltet und durchgeführt - mit einer so gewohnten Aufgabe habe ich mich sehr zuhause gefühlt.

Querschnittsthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Die kleineren Projekte zur nachhaltigen Stadtentwicklung und das große Partizipative Klimabudget sowie die nachhaltige Smart City Rahmenstrategie zeigen, dass Nachhaltigkeit und der Kampf gegen den Klimawandel in Wien weit oben auf der Agenda stehen. Das wurde auch in diversen Terminen zur übergeordneten Stadtplanung deutlich: Das Stadtentwicklungskonzept 2035, zu dem im Oktober der Startschuss fiel, wird einen deutlichen Schwerpunkt bei Klimawandel und Klimafolgenanpassung aufweisen. Wien wird aufgrund seiner geographischen Lage besonders schnell und stark von Hitzeereignissen betroffen sein.

In einer Angelegenheit sind wir der Wiener Bürger*innenbeteiligung definitiv voraus: in der Digitalisierung. Während wir mit www.talbeteiligung.de bereits eine moderne, den aktuellen Ansprüchen entsprechende Beteiligungsplattform betreiben, auf der wir alle digitalen Beteiligungsverfahren bündeln, und professionelle digitale Öffentlichkeitsarbeit auf unseren social-media-Seiten (@talbeteiligung) durchführen, schreibt die Stadt Wien gerade erst eine Plattform aus und hat keine eigenen Beteiligungsaccounts im Internet. Da sind wir Vorreiterinnen.

Viele Köch*innen…

Darüber hinaus habe ich mich mit vielen Akteur*innen der Wiener Partizipationslandschaft ausgetauscht. Hier gibt es gewachsene Parallelstrukturen, was zeigt, dass Beteiligung stark in der Stadtgesellschaft verankert ist, was jedoch nicht immer ressourceneffizient ist und für Bürger*innen nicht leicht zu durchblicken.

Neben der strategischen Partizipation in der Magistratsdirektion gibt es eine Stabsstelle Bürger*innenbeteiligung in der Abteilung "Stadtteilplanung und Flächenwidmung", die Öffentlichkeitsarbeit betreibt und standardisierte Beteiligungsprozesse anhand des "Masterplans Partizipative Stadtentwicklung" abwickelt, sowie die Vorhabenliste betreut.

Da hatte ich natürlich Gesprächsbedarf, wollen wir in Wuppertal doch aktuell unsere Vorhabenliste in eine Vorhabenkarte überführen. Zudem gibt es den Verein Lokale Agenda 21 und die Gebietsbetreuungen Stadterneuerung, die ebenfalls Bürger*innenbeteiligung umsetzen.

Die ewigen Fragen in der Bürger*innenbeteiligung

Fakt ist, in Wien und Wuppertal stellen wir uns die gleichen Fragen: 

Wie überzeugen wir die Politik davon, dass es wichtig ist, dass die Bürger*innen mitreden und mitentscheiden können? 

Wie überzeugen wir die Kolleg*innen in den Fachabteilungen davon, Qualitätsstandards der Bürger*innenbeteiligung umzusetzen, die in einem breiten Trialog aus Politik, Verwaltung und Bürgerschaft entwickelt wurden, aber noch nicht in jedem Zipfel der Fachverwaltung verankert sind? 

Und: Wie überzeugen wir die Bürger*innen, insbesondere die Zielgruppen, die sich in der Gesellschaft abgehängt fühlen oder noch nicht ausreichend beteiligt werden, mitzumachen? 

Nina Kotissek

Um diese Fragen zu beantworten, sind drei Wochen Praktikum zu kurz - aber abschließend habe ich sie auch nach zwei Jahren in der Wuppertaler Bürger*innenbeteiligung noch nicht beantwortet. Bürger*innenbeteiligung ist ein dickes Brett, das sich lohnt zu bohren!

Außerdem war ich als Ausbilderin in Wien.

Bei der Stadt Wien werden Verwaltungsassistent*innen ausgebildet (vergleichbar mit Verwaltungsfachangestellten), doch die meisten Mitarbeiter*innen kommen mit einer anderen Ausbildung, einem Studium oder mit Abitur als Quereinsteiger*innen zur Stadtverwaltung. Sie alle müssen innerhalb der ersten vier Jahre ihrer Beschäftigung eine Dienstausbildungsprüfung über Verwaltungsinhalte sowie rechtliche und politische Hintergründe absolvieren, eben weil sie in ihren Studien und Ausbildungen keine Wien- oder verwaltungsspezifischen Inhalte gelernt haben.

Dies erzählte mir Herr Dr. Wimmer, Referent für Personalorganisation und -entwicklung, der für den internationalen Wissensaustausch (also für mich und alle bisherigen Wuppertaler Praktikant*innen) sowie für die Wien-Akademie zuständig ist. In der Wien-Akademie werden Fortbildungen angeboten, äquivalent zur Wuppertaler Kommunalen Fortbildung, aber auch Kurse für die Absolvent*innen der Dienstausbildung.

Ich bin ihm sehr dankbar fürs Ermöglichen meiner wunderbaren Wien-Erfahrungen!

Während meines Praktikums bin ich von der Ausbilderin in die Rolle der Praktikantin geschlüpft. Dieser Perspektivwechsel war hilfreich, um am eigenen Leib zu erleben, was es braucht, damit ein*e Praktikant*in bzw. Auszubildende*r, der*die nur für eine begrenzte Zeit in einen Job schlüpft, viel lernt und sich wohlfühlt. Das führt von Technik und Arbeitsmaterialien über die Definition von Aktivitäten und die Vereinbarung von Zielen in einer Ausbildungsplatzbeschreibung sowie regelmäßige Feedbackgespräche auch zu gelegentlichen gemeinsamen Mittagspausen. Nach meinem Praktikum kann ich mich besser in meine Auszubildenden hineinversetzen.

Inhaltlich werde ich meinen Azubis in Zukunft nicht nur die Wuppertaler Perspektive vermitteln, sondern ihnen auch den Blick über den Tellerrand nach Wien ermöglichen können. Vielleicht lasse ich sie das Wuppertaler Bürgerbudget mit dem Partizipativen Klimabudget in Wien vergleichen, um ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Und vielleicht lasse ich sie in Österreich anrufen, um von meinen internationalen Kontakten zu profitieren.

Schließlich noch ein paar persönliche Eindrücke.

Eingemietet habe ich mich in Wien in eine fantastische Ferienwohnung in der Josefstadt, 20 Minuten fußläufig und 10 Minuten mit dem ÖPNV vom Rathaus entfernt. Die Wiener*innen sind sehr freundlich, ich verstehe sie nur nie sofort. Und sie verstehen mich bei meiner Bestellung einer Apfelschorle nicht - hier wird der Apfelsaft gespritzt. Die geschlechtergerechte Sprache hingegen ist bereits stärker in der Mitte der Gesellschaft angekommen als bei uns, hier nutzen viele Kolleg*innen konsequent die weibliche sowie männliche Form und auch in den Nachrichten wird konsequenter gegendert.

Was die Stadt Wien außer dem Praktikum für mich zu bieten hatte? Einen goldenen Oktober mit drei Wochen blauem Himmel, einen hervorragenden ÖPNV, in dem jeder Anschlussbus geradezu auf mich zu warten schien, freien Eintritt am Nationalfeiertag (26. Oktober) im Haus der Geschichte Österreichs, das höchste Kettenkarussell der Welt im Prater, Wandern in den Wiener Weinbergen, eine Ausstellung und Führung über die rote Geschichte der Stadt und den einzigartigen Wiener Wohnungsbau und natürlich jede Menge köstlicher Sachertorte und Topfenstrudel. Danke Wien und "baba"!

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