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Wuppertal goes Europe

Auszubildende und Ausbilder*innen berichten aus dem Praktikum

Frau Stinn, Sachbearbeiterin im Standesamtes, absolvierte vom 04.07.2022 - 15.07.2022 ein EU-Praktikum in der Stadtverwaltung Brighton and Hove.

Brighton and Hove - Die „bunte Stadt“ an der Küste Südenglands

Brighton, zurecht auch „London by the Sea“ genannt, ist eine Stadt mit ca. 273.000 Einwohner*innen an der Küste Südenglands. Mit dem Zug fährt man von London dorthin in etwas mehr als einer Stunde. Diese relative Nähe zur Metropole war mit ausschlaggebend dafür, dass aus dem ehemaligen Fischerdorf und Kurort eine turbulente und weltoffene Universitätsstadt mit einer aktiven LGBTQ+ Szene und vielen kleinen Cafés, Pubs, Vintage- und Second-Hand-Geschäften wurde, welche die Londoner gerne an den Wochenenden besuchen. Zu den Wahrzeichen der Stadt zählen das Viertel „The Lanes“, der Royal Pavillon, ein im 18. Jahrhundert erbauter Palast, welcher mit seiner Außenarchitektur an den Taj Mahal erinnert sowie der Brighton Pier an der Küste.

Die Rückseite des Brighton Pavillon, eines der Wahrzeichen der Stadt

Im Rahmen eines Schüleraustausches hatte ich Brighton bereits kennengelernt und die Stadt in guter Erinnerung behalten. Ich entschloss mich daher, auch die Stadtverwaltung näher kennen zu lernen. So schickte ich also mein Motivationsschreiben an das Bürgermeisterbüro und bekam nach nur zwei Wochen eine Zusage. Glück gehabt!

Mit dem Thalys-Zug ging es am Duisburger Bahnhof los.

Von Paris über London nach Brighton: Ich kam nach knapp 8 Stunden Fahrt in der Metropole an. „Green Travel“ nach Brighton - eine Kleinigkeit!

Wegen der hohen Mietkosten vor Ort hatte ich mich entschieden, ein Zimmer bei einer Gastfamilie über airB&B zu buchen. Meine Gastfamilie bietet ein kleines Zimmer an, zum Beispiel für Austauschschüler*innen. Ich hatte ein eigenes Bad, durfte die Küche und den Garten mitbenutzten. Die Familie war sehr gastfreundlich, und ich habe sie schnell ins Herz geschlossen!

Von meiner Unterkunft aus erreichte ich in nur 20 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln das Rathaus der Stadt Brighton.

Verwaltungsstrukturen im Rathaus

Durch den Zusammenschluss der benachbarten Städte Brighton und Hove wurde der fusionierten Stadt 2001 der Status einer „City“ verliehen, was bestimmte Privilegien mit sich bringt. Ihre Verwaltungsstruktur ähnelt der einer Kreisverwaltung.

Es gibt 2 Rathäuser in Brighton und eines in Hove, da die neue Stadt –vergleichbar mit Wuppertal- ehemals unabhängige Kommunen integriert hat. Der Haushaltsplan der Kommune mit allen Stellenplänen und Finanzpositionen wird jedes Jahr im April verabschiedet.

Mein Praktikumsplatz: das Mayor Office

Im Frühjahr 2022 hatten die Mitarbeiter*innen des Mayor Office, dem Büro des amtierenden Bürgermeisters, viel Arbeit: Ein neuer Mayor wurde gewählt. In England gibt es zwei Möglichkeiten das Amt des Mayors in einer Stadt zu besetzten. Variante eins sieht die direkte Wahl des Mayors durch die Bürger*innen der Stadt vor. Bei Variante zwei wird das mit exekutiver Macht ausgestattete Oberhaupt aus dem Kreis der Stadtverordneten gewählt. Brighton hat sich für das letztere Modell entschieden. Ein Mayor ist vor allem Botschafter*in der Kommune: sie/er repräsentiert die Stadt nach innen und außen, handelt zum Wohle aller Bürger*innen. Das Amt hat eine strikt neutrale Funktion: Politisch darf sie/er sich nicht äußern, Meetings mit privaten Firmen für wirtschaftliche Zwecke sind nicht gestattet.

Mayor Lizzie Dean Visitenkarte

Mayor von Brighton ist aktuell Councillor Lizzie Deane und Deputy Mayor (Stellvertreterin) Jackie O’Quinn. Beide sind seit dem 26. Mai 2022 im Amt. Jackie O’Quinns unterstützende Aufgabe besteht darin, die kontinuierliche Anwesenheit einer offiziellen Vertretung der Stadt bei 300 bis 800 Veranstaltungen im Jahr zu gewährleisten. Dem Mayors Office zugeordnet ist der „democratic services“. Dazu zählen der Rat der Stadt und die Ausschüsse der Verwaltung.

Organigramm Brighton

Überrascht hat mich in diesem Zusammenhang, dass Mayor Lizzie Deane den Mitarbeiter*innen ihres Büros nicht weisungsbefugt ist. Einer der Gründe könnte darin liegen, dass ein Mayor nur für die kurze Dauer von einem Jahr gewählt wird.

Im Mayor Office (auch Civic Office) arbeiten 3 Mitarbeiter*innen:

  • Minna Robertson, als Leiterin „Manager of the Civic Office“
  • Elaine, als „Secretary of the Civic Office“
  • und Robby, als persönlicher Chauffeur.

Zu den Aufgaben der Mitarbeiterinnen gehört es u.a., Events zu organisieren, an denen der Mayor teilnimmt, sowie kontinuierlich die Website und den Facebook-Account des Mayors zu pflegen.

Minna, meine Praktikumsanleiterin, empfing mich am ersten Praktikumstag, zeigte mir das Rathaus und besprach mit mir das Praktikumsprogramm. Geplant waren u.a. die eigenständige Organisation einer Benefizveranstaltung und die Pflege der Facebook-Seite des Mayors: Ein Programm, welches „Corona“ bereits am nächsten Tag ordentlich durcheinanderbrachte.

Die Mayors erkrankten beide, und auch meine Praktikumsanleiterin begab sich am Montagnachmittag mit typischen Symptomen in Quarantäne. Ab diesem Zeitpunkt besprach Minna mit mir in täglichen Zoomterminen die Aufgaben und Termine an den jeweiligen Praktikumstagen. Alle Mitarbeitende gaben sich sehr viel Mühe, die Abwesenheit von Minna auszugleichen. Dennoch mussten einige Programmpunkte aufgrund ihrer Corona-Erkrankung leider ausfallen.

Mein Arbeitsplatz

Digitale Trainingsprogramme für neue Mitarbeiter*innen

Mit viel Spaß absolvierte ich in der ersten Woche zunächst einmal die verpflichtenden digitalen Trainingsprogramme zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen, selbstverständlich auf Englisch.  Die Module sind sehr übersichtlich und ansprechend gestaltet. Sie geben einen groben Einblick über die Zusammensetzung des Stadtrates und dessen Zuständigkeit, den Aufbau der Stadtverwaltung sowie wichtige Informationen zum Thema Datenschutz. Abgefragt wird das erlernte Wissen anschließend mit einem Quiz. Mindestens 80% der Antworten müssen dabei richtig beantwortet werden.

Das Standesamt Brighton

Als angehende Standesbeamtin interessierte es mich natürlich, welche Regeln dort zu beachten sind und welche Arbeitsverfahren angewandt werden. Darum freute es mich, dass ich auch im Standesamt hospitieren durfte. Dendy Wolffsky-Batson, Teamleiterin im Standesamt, zeigte mir die Räumlichkeiten des Amtes: u.a. die Empfangsräume für Anmeldungen von Geburten, Eheschließungen, das Archiv und die Trauungsräume.

Das Standesamt Brighton hat insgesamt 2 große Trauungssäle vor Ort im Rathaus und bietet darüber hinaus zu einem Aufpreis an, im Empfangssalon des Mayors („Mayor’s Parlour“) oder im Brighton Pavillon zu heiraten. In einem echten Palast zu heiraten, das hat schon etwas!

Der sogenannte Regency-Trausaal, in dem bis zu 100 Gäste teilhaben können!
Empfangszimmer des Mayors

Für Eheschließungen werden zwei Mitarbeitende des Standesamtes benötigt.

Diese müssen - anders als in Deutschland - keine Prüfung ablegen. Mitarbeitende werden vielmehr speziell für diese Tätigkeit eingestellt und eingearbeitet.

Da viele Urkunden noch handschriftlich bearbeitet werden, wird insbesondere auf eine „saubere“ Handschrift Wert gelegt. Bis zum letzten Jahr wurden neue Eheurkunden erst per Hand gefertigt und anschließend digitalisiert. Selbst die ältesten Urkunden sind nachträglich digitalisiert worden.

Es gibt ein paar Unterschiede zur Verfahrensweise bei Eheschließungen und zur Rechtswirksamkeit von Dokumenten:

  • zur Anmeldung einer Eheschließung reicht der Pass,
  • das Register der Geburtsurkunde wird nicht benötigt und hat auch keinerlei rechtswirksame Beweiskraft,
  • eine Geburtsurkunde enthält weniger Daten und wird nach der Geburt auch nicht mehr aktualisiert,
  • jede/r Engländer*in hat ein Recht auf Einsicht in das Geburtenregister, da es keine rechtswirksame Auskunft besitzt. Dennoch achten Mitarbeitende des Standesamtes genau darauf, wer und warum jemand eine Geburtsurkunde anfordert, um einen möglichen Identitätsdiebstahl zu vermeiden.
Standesamt Archiv

Die Stadtverwaltung Brighton & Hove hat kein Stadtarchiv.

Abschriften aus Geburts-, Ehe- und Sterbeurkunden werden im Archiv des Standesamtes aufbewahrt. Dieses Archiv reicht bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück! Allerdings ist es schwer, einzelne Urkunden zu finden, da es keine Querverweise auf Registernummern in den Urkunden gibt. Lediglich der Name des leiblichen Vaters und dessen Geburtsort werden miteinander verlinkt.

Das System des Verlinkens finde ich allerdings bei uns effizienter und übersichtlicher.

Ratssaal Front

Ein besonderes Ereignis: die Verleihung der Staatsbürgerschaften im Ratssaal - die „Citizenship Ceremony“

Der Stellvertreter der Queen, Lord Lieutenant Andrew Blackman und zwei Mitarbeitende des Standesamtes übergaben 30 neuen Bürger*innen diese wichtigen Dokumente. Das Programm der Zeremonie, enthielt eine feierliche Rede des Lord Lieutenants, den Schwur der Neubürger*innen, sich an die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Verfassung zu halten und dem Gelübde, Ihre Majestät die Queen und all ihre Nachkommen als rechtmäßige Monarchin anzuerkennen sowie Loyalität zu wahren.

Ich informierte mich ausführlich über die Aufgaben und Funktionen eines Mayors und nahm teil an Sitzungen verschiedener Ausschüsse des Rates, des Gesundheitsrates und des Standesamtes über „MSTeams“ (vergleichbar mit Zoom). Am Samstag hatte ich zudem Gelegenheit, der stellvertretenden Bürgermeisterin bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Sie hielt die Eröffnungsrede im Public Viewing Zelt im Victoria Garden anlässlich der Fußball-EM der Frauen.

Recruiting und Ausbildung

Als „frische“ Ex-Auszubildende war ich natürlich neugierig auf die besonderen Einstellungs- und Ausbildungsverfahren in Brighton. Zuständig für Bewerbungsverfahren und Einstellungen von jungen Nachwuchskräften und neuen Mitarbeitenden ist das sogenannte Recruiting-Team.

Zu besetzende Stellen werden ausgeschrieben und neue Mitarbeitende eingearbeitet.

In Großbritannien gibt es keine Ausbildung in der Form, wie ich sie kennen gelernt habe.

Ein Beamtensystem oder unterschiedliche Verwaltungsausbildungen existieren nicht.

Vielmehr ähneln Personal- und Hierarchiestruktur denen der Privatwirtschaft: Chief Executive, Executive Director, Head of Service und Manager etc.

Die Themen „Bürgerfreundlichkeit“ und „Transparenz“ gehören zu den Kernzielen der Stadt Brighton.

Das bestätigt bereits der erste Eindruck der ausgesprochen übersichtlich gestalteten städtischen Website.

  • Sie ist in einzelne Bereiche für Bürgerbelange aufgeteilt.
  • Diese wiederum informieren über die zuständigen Sachbearbeiter*innen und deren Erreichbarkeit via Email-Adresse und Telefonnummer.
  • Ein Textfeld steht für eine kurze Beschreibung des Anliegens zur Verfügung.
  • Ein Service-Team unterstützt immer dann, wenn Anliegen über diesen Weg nicht geklärt werden können.
  • Onlinetools zur Terminvereinbarung oder zum Abruf und Einreichen von Unterlagen stehen darüber hinaus zur Verfügung.

Besonders beeindruckt hat mich, dass Bürger*innen ca. 90% aller Ratssitzungen per Livestream mitverfolgen können. Diese werden anschließend abrufbar auf der Webseite des Councils für mehrere Jahre gespeichert. Tagesordnung, Unterthemen inkl. der dafür zuständigen Ratsmitglieder mit den jeweiligen Kontaktdaten sind bereits vor der Sitzung einsehbar.

Veröffentlicht werden auch die Gehälter der Mitglieder der Ausschüsse und des Rats. Auf der Website des Councils sind auf den Cent genau die veranschlagten Budgets und tatsächlichen Ausgaben der vergangenen Jahre verzeichnet: Ein Beitrag, die Bürgerkommunikation zu verbessern und transparent die Ausgaben von Steuergeldern festzuhalten.

Ein Zeitüberwachungssystem wie ATOSS hat die Stadt Brighton zu meiner großen Überraschung nicht. Mitarbeitende teilen am Ende des Monats schriftlich mit, an welchen Tagen sie wie viele Stunden gearbeitet haben.

Was ich mitnehme …

Zwei wirklich interessante Wochen liegen hinter mir. Ich habe die Gegebenheiten und Abläufe der Standesämter in Wuppertal und Brighton vergleichen können sowie interessante Einblicke in bürgernahe, digitale Serviceleistungen erhalten.

Daraus nehme ich ein paar Ideen und Anregungen mit!

Marie Stinn und Councillor Lizzie Deane

Die Kolleg*innen in der Verwaltung sprechen sich mit Vornamen an. Das würde ich auch in Wuppertal schätzen. Ich habe beobachtet, dass sich dadurch die Distanz zum Gegenüber verringert. Das macht das Arbeiten miteinander selbstverständlicher, ohne dass die Mitarbeitenden dabei den Respekt im Umgang miteinander verlieren. Geschätzt habe ich darüber hinaus die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gelassenheit der Menschen.

Besonders möchte ich mich bei Minna bedanken, die mich trotz ihrer Corona-Erkrankung aufmerksam durch das Praktikum geführt hat. Dies gilt auch für Frau Vonde, die stets ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

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